BERND ZIMMER | Wald Spiegel Wasser | 2011


72 Einzelblätter | 38 x 29 cm | gedruckt auf BFK Rives 210g | Auflage 10
Preis: 500 EUR

Ein Buch über Bäume


Prof. Dr. Walter Grasskamp

Seit 2007 unterhält Bernd Zimmer ein Teilzeit-Atelier am Warthe-See in Brandenburg, weit entfernt von den oberbayerischen Ateliers in Polling und Oberhausen, wo er die letzten Jahrzehnte über gearbeitet hat. In der Fontane-Landschaft der Uckermark, mit ihren großen und kleinen Seen und den ausgedehnten Wäldern, in denen Zimmer sich fontanemäßig auch zu Fuß bewegt, hat er ein Motiv gefunden, das er noch nie in seinem Werk behandelt hatte: Die Spiegelung der festen Natur in der flüssigen; das Schimmern der Bäume im See, das Glosen des sonnengefärbten Himmels im unruhigen Spiegel des Wassers. Nach der Serie der Cosmos-Bilder, die ihn zuvor mehr als ein Jahrzehnt lang beschäftigt hatte, bilden die Spiegelungsbilder nun eine neue Gruppe im malerischen Oeuvre von Bernd Zimmer – und dazu in der Druckgrafik.

Die Druckgrafik bietet ganz andere Möglichkeiten des Bildaufbaus, des Farbauftrags und des Umgangs mit der Bildfläche als die Malerei. Man kann die Malerei von Bernd Zimmer vielleicht gar nicht ohne seine Leidenschaft für die Druckgrafik verstehen – beide Gattungen fordern sich immer wieder gegenseitig heraus. Denn die Farbe, an der er, wie jeder Maler, primär interessiert ist, spielt sich als Malfarbe völlig anders aus denn als Druckfarbe, selbst wenn es sich um den selben Farbton handelt.

Das liegt am Auftrag und der Substanz der Druckfarbe, an ihrer flächigen Präsenz auf dem Bildträger und an der kühleren Temperatur, die sie zu haben scheint; an ihrer ruhigeren Ausstrahlung und zurückhaltenden Materialität. Es liegt aber auch an der trennscharfen Begrenzung des Farbauftrags, zumal dann, wenn er, wie auf den Blättern dieses Buches, zwei- bis dreimal (bei manchen auch viermal) hintereinander erfolgt. Dann lassen Überschneidungen und Mehrfachverwertung den Druck als Schichtenablagerung eines handwerklichen Prozesses erkennen, wie er in der Malerei nur selten so klar nachvollziehbar ist.

In diesem Buch hat die Druckfarbe aber ganz eine besondere Präsenz – man muß sie anfassen, um sie zu sehen. Das ist eher die Ausnahme im Reich der modernen „Originalgrafik“ (wie sie, paradox genug, seit rund hundert Jahren genannt wird), die hinter Museumglas und unter Passepartouts längst die gleiche Wandpräsenz beansprucht wie
ein Gemälde.

Das sonderbare Projekt eines umblätterbaren Buches aus hochwertiger und materialfetter Druckgrafik verwundert freilich weniger, wenn man weiß, daß Bernd Zimmer sich zunächst dem Buch näher fühlte als dem Gemälde, hatte er doch seine Berufstätigkeit in einem Verlag begonnen, bei Hanser in München, um sie dann in WestBerlin bei niemand geringerem als Klaus Wagenbach fortzusetzen.

Ohnehin haben Holzschnitt und Lithographie eine enge kulturhistorische Verbindung zum Buchdruck. Heute, wo Texte kaum noch aus Bleilettern, sondern elektronisch gesetzt und gedruckt werden, nehmen sich die traditionellen Techniken der Druckgrafik sogar wie Zeugen eines inzwischen historisch gewordenen Buchhandwerks aus.

In der langen Tradition des Nebeneinanders von Buchstaben und Bild war die Gewichtung freilich eine andere. Denn Stiche, Schnitte oder Lithographien tauchen in der Buchgeschichte fast ausschließlich als Illustrationen auf – besonders gerne in Büchern mit Gedichten, die in ihrer insulären Textgestalt eine spezielle Nähe zum benachbarten
Bildgeviert haben. Als Illustration macht eine limitierte Druckgrafik nicht nur das Buch wertvoller, sondern auch die Texte, die in der Nachbarschaft plötzlich ähnlich kostbar wirken wie die aufwendiger gedruckten Bilder.

Das Buch Wald Spiegel Wasser ist nun das genaue Gegenteil dieser Tradition, denn es ist ein elementares Bilderbuch ohne Text. Gleichwohl enthält es eine Erzählung, sogar mehrere. Es ist die klassische Erzählung von der Natur, in welcher der Mensch nicht vorkommt, der sie betrachtet; es ist die romantische Erzählung vom Künstler als Stimme
der Natur; es ist die sentimentalische Erzählung vom Betrachter als Stimmungsträger des Bildes; es ist die moderne Erzählung, die in der Schöpfung den Schöpfer vermißt, und es ist die postmoderne Erzählung von der Natur als zwischengelagerter Ressource des Menschen.

Denn dieses Buch erzählt auch von dem Material, aus dem es gemacht ist, von der Ökologie jeder Drucktechnik, die des Papieres bedarf. Es sind ja die Bäume, aus denen man das Material dafür gewinnt, und der Holzschnitt braucht und verbraucht es gleich auf doppelte Weise – als Druckmaterial wie als bedrucktes. Das Holz der Bäume ist daher
nicht nur das sichtbare Thema, sondern zugleich das unsichtbare Produktionsmaterial dieses Buches wie auch sein umblätterbarer Bildträger.

Vor allem aber liefert Wald Spiegel Wasser die Erzählung von der immer wieder faszinierenden Selbstdarstellung der irdischen Natur in ihrem ureigenen Medium, dem Wasser. Das stille Wasser der Seen und Brunnen ist das älteste Medium der Reproduktion überhaupt, und so ist es – anders als in den thematisch ähnlichen Gemälden Zimmers – eine besondere Pointe dieser Erzählung, daß sie sich in Reproduktionen vollzieht.